Radfahraktionswoche der Polizei Hannover

Radfahraktionswoche der Polizei Hannover

Victim Blaming Reloaded oder „Its the Infrastructure, stupid!“

Auch in diesem Jahr setzt die Polizei Hannover die Praxis der sogenannten „Fahrradsktionswoche“ fort, in denen gezielt das Fehlverhalten von (und gegenüber) Radfahrern geahndet wird.

Das Ziel der Aktion laut der Pressemitteilung der Polizei: „Die Sicherheit der Radfahrenden im Straßenverkehr zu erhöhen.“

Betrachtet man jedoch die Kontrollschwerpunkte der Polizei, gelangt man schnell zu der Feststellung: Nicht das Fehlverhalten der Radfahrenden ist der Ursprung vieler Unfälle, sondern die unzureichende Infrastruktur.

An drei Beispielen wird deutlich, dass die Polizei mit den Kontrollen lediglich Symptombekämpfung betreibt, statt mit Hilfe der gewonnenen Erfahrungen die eigentlichen Ursachen zu bekämpfen.

Geisterradler wider Willen

Ein „klassischer“ Kontrollpunkt befindet sich am Königsworther Platz bzw. der Königsworther Straße. Hier kontrolliert die Polizei regelmäßig Radfahrende, die auf der falschen Seite fahren (stadtauswärts). Das Problem dabei: Der Radverkehr wird am Königsworther Platz von der Infrastruktur auf die falsche Seite geleitet. Es gibt an dieser Stelle – stadtauswärts – schlicht keine direkte Querungsmöglichkeit für den Radverkehr, um auf die richtige Seite zu gelangen. Die Kreuzung am Königsworther Platz bietet zwar Platz für gleich acht Autospuren (inklusive freiem Rechtsabbieger), auf eine einfache Querungsmöglichkeit für den Radverkehr wird allerdings seit eh und je verzichtet. Und das, obwohl die Königsworther Straße zusammen mit der Langen Laube (Fahrradstraße!) eine primäre Pendlerroute zwischen Linden und der Innenstadt darstellt.

Wen wundert es also, wenn hier Radfahrende auf der falschen Seite bleiben, anstatt eine weitere Ampelphase abzuwarten, um auf die richtige Seite zu gelangen? Auch in vielen anderen Fällen, sind es die unzureichenden Querungsmöglichkeiten, die Radfahrende dazu veranlassen auf der falschen Seite zu fahren, statt auf die richtige Seite zu wechseln.

Verwirren und Strafen

Ebenfalls häufig kontrolliert wird an der Marienstraße kurz hinter dem Aegi. Dort wurden auch in diesem Jahr wieder Falsch- und Fußwegfahrer zur Kasse gebeten. An dieser Stelle verläuft der Radweg zwischen den Arkaden und parkenden Fahrzeugen und ist dementsprechend eng. Ein Befahren entgegen der eigentlichen Fahrtrichtung ist daher tatsächlich nicht zu empfehlen.

Allerdings sind Zweirichtungs-Radwege in Hannover gang und gäbe (entgegen einschlägiger Normen). Biegt man beispielsweise vom Aegi in die Hildesheimer Straße ab, darf man auf der „falschen Seite“ radeln. Fährt man eine Straße weiter – in die Marienstraße – ist es strengstens verboten und wird sanktioniert.

Kontrollen an dieser Stelle durchzuführen ist derzeit besonders dreist: Seit Monaten wird an der Marienstraße / Ecke Aegi gebaut; die Fahrradinfra entfällt stadtauswärts völlig (kein geteilter Fuß-/Radweg, keine Umleitung, keine Einleitung auf die Straße). Wer sich nicht traut, ohne Sicherung auf die Fahrbahn zu wechseln und stattdessen die gegenüberliegende Seite nutzt, wird von der Polizei abkassiert.

Auch ältere Leute und Jugendliche an dieser Stelle auf die Fahrbahn zu zwingen, kann kein Beitrag zur Sicherheit der Radfahrer sein! Die Versuche der Polizei das Radeln auf der „falschen“ Seite als gravierenden Verkehrsverstoß ins Bewusstsein zu bringen, müssen daher zwangsläufig ins Leere laufen.

Die Zweirichtungs-Radwege in Hannver sind zudem an vielen Stellen von der Polizei als Unfallbrennpunkte bekannt (so zum Beispiel die Archivstraße/ Ecke Laavesalle). Für Autofahrer stellen diese Stellen eine nachvollziehbar schwierige Situation dar. Laut den einschlägigen Verwaltungsvorschriften (VwV) sind Zweirichtungsradwege innerorts deshalb längst explizit ausgeschlossen. In Hannover wird dies jedoch geflissentlich ignoriert.

Die Anlage von Zweirichtungs-Radwegen erfolgt zudem nicht, um Radfahrern das (Über-)Leben zu erleichtern, sondern in den meisten Fällen aufgrund von fehlenden Querungsmöglichkeiten der vielspurigen Straßenachsen. Auch hier wird die schnelle Abwicklung des Automobilverkehrs weiterhin auf Kosten der Sicherheit von Radfahrern gewährleistet.

 

Die Rotlichtsünder

Auch mit Blick auf die vielen Rotlichtverstöße von Radfahrern, lohnt sich ein Blick auf die Gegebenheiten vor Ort.

Im letzten Jahr wurde ein Radfahrer an einem Übergang am Deisterkreisel von einem Auto erfasst und tötlich verletzt. Ob er dabei die Ampel bei Rot überquerte, konnte nicht abschließend geklärt werden. Der Deisterkreisel stammt aus der Zeit der autogerechten Stadt und wurde ursprünglich so konzipiert, dass der Verkehr (lies: Autoverkehr) möglichst ohne Unterbrechungen fließen kann. Schon lange geht das ursprüngliche Konzept aufgrund der enormen Verkehrsströme (lies: Autoverkehr) nicht mehr auf; zahlreiche Ampeln mussten ergänzt werden, damit der Autoverkehr überhaupt noch abgewickelt werden konnte. An der Infrastruktur mit ehemals „freien“ Rechtsabbiegern wurde jedoch nichts geändert. Die Folge: Erhebliche Einschränkungen für den Fuß- und Radverkehr.

Möchte man – wie im Fall des getöteten Radfahrers – aus der Deisterstraße Richtung Göttinger Straße fahren, muss man gleich vier(!) Ampeln überqueren. Wohlgemerkt, ohne dass diese Ampeln aufeinander abgestimmt wären. Es bedeutet also nichts anderes, als vier mal auf ein Grünsignal zu warten, kurz zu fahren und wieder zu warten.

Wundert es da tatsächlich, wenn hier Rotsignale missachtet werden (würden)?

Ebenfalls gleich vier Ampeln überqueren müssen Fußgänger und Radfahrer, um über die große Pferdeturm-Kreuzung am Übergang nach Kleefeld zu gelangen – für eine einfache Geradeaus-Querung wohlgemerkt.

Das dieses Kontrukt auf wenig Gegenliebe der so ausgebremsten stößt, weiß auch die Polizei. 92 Rotlichtverstöße wurden während der zweiten Kontrollwoche der Polizei im letzten Jahr geahndet. Kontrolliert wurde unter anderem… richtig, an der Pferdeturmkreuzung!

Ein Rotlichtverstoß kostet übrigens 60€ und bringt noch einen Punkt in Flensburg. An einer Kreuzung wie der am Pferdeturm kann man allerdings wunderbar sammeln: Wer hier in einem Zug mehrere rote Ampeln überfährt, bekommt für jede dieser Ampeln eine extra Quittung. Im schlimmsten Fall also 240€ und 4 Punkte in Flensburg. Und dies – das muss hier betont werden – ist keine Theorie, sondern wird tatsächlich so praktiziert (wie im ZDF-Bericht belegt; ab Minute: 15:56)

Träfen solche Kontrollen nicht FußgängerInnen und RadfahrerInnen, sondern Autofahrer, wäre sicherlich schnell von Abzocke die Rede. Aber es geht hier nicht ums Geld, sondern um Sicherheit. Wer Radfahrern eine solche Kreuzung zumutet, sollte sich jedenfalls nicht über Rotlichtverstöße wundern.

Mangelnder Aufklärungswillen

Die Polizeidirektion Hannover erklärte dazu in einer Pressemitteilung: „Während der gesamten Woche nutzten die Ordnungshüter die Möglichkeit, mit dem Bürger ins Gespräch zu kommen und dabei über die Gefahren im Zusammenhang mit dem Radverkehr aufzuklären.“ Außerdem wurden über die Social Media Kanäle (#rundumsrad) „Sicherheitstipps“ gegeben und Radfahrer über Vorschriften und Beschilderungen aufgeklärt.

Nett – besser wäre es allerdings gewesen, die Beamten hätten sich mit den Verantwortlichen aus Stadt und Region zusammengesetzt um zu klären, warum es zu den Verstößen kam. Eine Auswertung der Ergebnisse mit Blick auf die Ursachen ist in den letzten Jahren jedoch nicht erfolgt! Genau das wäre allerdings bitter nötig gewesen.

Schon das Ranking der während der Kontrollwochen festgestellten Verstöße, sollte Verkehrsplaner eigentlich aufhorchen lassen: Die mit Abstand meisten Verstöße beliefen sich auf der verbotswidrig Nutzung des Gehwegs, dem Fahren in falscher Richtung auf einem Radweg oder dem Fahren in einer Fußgängerzone.

Warum fahren so viele Radler in Hannover auf dem Fußweg oder durch Fußgängerzonen? Und warum wird öfters der entgegengesetzte Radweg benutzt? Ganz offensichtlich wird die vorhandene – oder oftmals gänzlich fehlende – Radinfrastruktur als nicht sicher empfunden. Warum sonst, sollte eine gut ausgebaute, sichere Infrastruktur und Radwegeführung nicht genutzt werden? Das Radeln entgegen der eigentlichen Fahrtrichtung kann aus Bequemlichkeit erfolgen – oder aber aufgrund von fehlenden Querungsmöglichkeiten (wie am Königsworther Platz).

Was hier passiert ist nichts anderes als „Victim Blaming“!

Das Fahren auf der falschen Seite, die Rotlichtverstöße – zu diesem „Fehlverhalten“ wird man angehalten, möchte man als Radfahrer in Hannover nicht ständig Einbußen hinnehmen. Die Kontrollen an den genannten Schwachstellen der Radinfrastruktur sind somit nichts anderes als „Victim Blaming“!  Es sind die Strukturen, die den Akteuren zu Verhaltensweisen aufdrängen und denen sie deshalb nie ausgesetzt sein sollten.

Seit 2014 ist die Zahl der „verunglückten“ Radfahrer in Hannover um 18,8% gestiegen. Kontrollen von auf dem Gehweg und in Fußgängerzonen fahrenden Radlern wird an dieser traurigen Statistik kaum etwas ändern. Die sieben getöteten und 229 (!) schwerverletzten Radfahrer im letzten Jahr waren wohl kaum in der Fußgängerzone unterwegs.

Es bleibt deshalb festzuhalten, dass das Ziel, die Sicherheit der Radfahrer in Hannover zu erhöhen, nicht dadurch erreicht werden kann, dass „Fehlverhalten“ geahndet wird, sondern lediglich dadurch, dass allen Verkehrsteilnehmer – auch Radfahrern – eine sichere, bequeme und schnelle Infrastruktur bereitgestellt wird. Daran sollte die Polizei Hannover zusammen mit der Stadt(verwaltung) arbeiten, denn:

Its the Infrastructure, stupid!

AK, 25.04.2019