Ohne Auto leben – geht das?

Ohne Auto leben – geht das?

Vor drei Jahren trennte er sich von seinem „kleinen und so praktischen Auto“ und stellt fest: ein Leben ohne ist möglich!

In der Januarausgabe des Stadtkind erklärt Erwin Schütterle auf seine ihm eigene symphatische und direkte Art, warum wir unser bisheriges Verhältnis zum Automobil gründlich überdenken sollten.

Wir können in allen Punkten nur zustimmen und freuen uns über die Möglichkeit, die Kolumne an dieser Stelle teilen zu dürfen.

Autolos

Der Stadtmensch, der im guten Glauben an die Leistungsfähigkeit und die Ehrlichkeit unserer bis lang erfolgsverwöhnten Autoindustrie sich in letzter Zeit einen neuen Diesel zugelegt hat, der hat in der Tat ein beschissenes Los gezogen. Vom Wertverlust mal ganz abgesehen droht ihm die Autofahrerhöchststrafe: innerstädtisches Fahrverbot! Und während die Politiker rumeiern und den Schwarzen Peter noch hin und her schieben, fällt VW und ihren Töchtern nichts Besseres ein als in Hochglanzanzeigen und auf überdimensionalen Plakaten ihre neuen SUVs anzupreisen. Gekrönt sind diese kostspieligen Werbemaßnahmen mit so blödsinnigen Sprüchen wie „Selbstbewusstsein in Form gebracht“ oder „Ausdruck von Freiheit“ (für den neuen Porsche Cayenne Turbo, 550 PS, von 0-100 in 3,9 Sek, Spitze 286 km/h, ab 138.850 €, fast 300 g CO2 pro km!). Hand aufs Herz: Haben Sie in den letzten Jahren jemals eine Autoanzeige entdeckt, die nicht auf technischen Firlefanz und unterschwellige Überlegenheitsgefühle, sondern klipp und klar auf reale niedrige Verbrauchs- und Abgaswerte hinweist? Wenn jetzt selbst die Wolfsburger Abgas-Trickser die Abschaffung der Dieselsubventionen empfehlen, kann man nur hoffen, dass sie konsequenterweise demnächst auch eine extrem höhere Besteuerung der an sich überflüssigen SUVs und anderer Dreckschleudern fordern und – wenn schon denn schon – alle Autos und Werbeanzeigen mit dem unübersehbaren Aufdruck „Autofahren tötet!“ schmücken.

Irgendwie hat man das Gefühl, das gut eingespielte Bündnis von Autoherstellern und Politik können (wollen?) dieses lebensgefährliche Abgasproblem weder kurz- noch langfristig lösen  –  weil auf der einen Seite viel zu viele Menschen schlichtweg autosüchtig sind, unbehindertes Autofahren als Menschenrecht gesehen wird und auf der anderen Seite unsere Autobauer offenbar nur mit Samthandschuhen angefasst werden dürfen. Wenn aber in Deutschland mittlerweile mehr Menschen an Autoabgasen als durch Verkehrsunfälle sterben und wir laut unserem renommierten Herzspezialisten Prof. Haverich „in Wochen mit starker Feinstaubbelastung signifikant mehr Herzinfarkte zu verzeichnen haben“, dann wird die Justiz nicht umhin kommen, dem freien Autoverkehr in den Ballungsräumen den grenzenlosen „Freifahrschein“ zu entziehen. Und spätestens dann, wenn wir zum Nichtautofahrendürfen verurteilt werden, bleibt uns das Los nicht erspart, unser bislang unbelastetes Verhältnis zu unserem geliebten, selbstverständlichen, vermeintlich notwendigen und Sta(t)us schenkenden Auto einmal gründlich zu hinterfragen.

Freiheit impliziert eben nicht allein freie Fahrt, freie PS-Wahl und unlimitiertes Tempo. Freiheit ermöglicht auch Verzicht, Loslassen und Neinsagen. Immer mehr hannoversche Stadtmenschen und verkehrsmäßig gut angebundene Regionsbewohner haben dies erkannt und haben längst die Nase voll von der lästigen Parkplatzsucherei, den kostspieligen Knöllchen, den vielen Staus, den nervigen Baustellen, den teuren Spritpreisen sowie der miesen Stadtluft und haben die Vorzüge unseres (hoffentlich weiterhin) ziemlich effektiven öffentlichen Nahverkehrs, des Zufußgehens, des Radfahrens (mit Kind und Kegel und eingebautem Rückenwind) oder des Carsharings entdeckt. Auch ich habe es vor drei Jahren geschafft, mich von meinem kleinen und so praktischen Auto zu trennen. Auch autolos lebe ich immer noch, habe viel Geld gespart, jede Menge frische Luft und Bewegung gewonnen …und in den drei Jahren lediglich drei Taxifahrten benötigt.

Wenn Hannover, die frisch gekürte „nachhaltigste Großstadt Deutschlands“ seine Luft verbessern will, würde es ihr gut zu Gesicht stehen, diese vernünftige städtische „Autoverzichtsbewegung“ noch intensiver zu fördern und zu unterstützen. Hierfür auch finanzielle Mittel (aus dem Milliardentopf des Abgasgipfels) zu beantragen wäre auf jeden Fall sinnvoller als gut betuchten Menschen Subventionen für Autoneukäufe anzubieten.

Erwin Schütterle

31.01.2018

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