02 Sep Die hannoversche Verwaltung agiert als Verkehrswende-Verhinderungsagentur!
Alle sprechen von Verkehrswende und von der Notwendigkeit klimafreundliche Mobilität zu fördern; die Kandidaten, die derzeit um den Posten des hannoverschen Oberbürgermeisters wetteifern, überbieten sich geradezu an Vorschlägen zur Verkehrswende: Die Innenstadt soll autofrei werden, Hannover „Fahrradhauptstadt“ usw. Auch in den einzelnen Stadtteilen werden immer öfter konkrete Maßnahmen vorgeschlagen, um die Verkehrswende voranzubringen – bloß: die in den Bezirksräten oftmals mit breiten Mehrheiten beschlossen Anträge, werden von der Verwaltung systematisch abgebügelt.
- Der Antrag im BZR Mitte, die Fußgängerzone Lister Meile zu verlängern: von der Verwaltung zwei Mal(!) abgelehnt.
- Die Anregung des BZR Linden-Limmer, die Fußgängerzone Limmerstraße zu verlängern: von der Verwaltung mit Bedenken überzogen.
- Der Antrag im BZR Nordstadt, den Engelbosteler Damm als Fahrradstraße auszuweisen: von der Verwaltung abgelehnt.
- Der Antrag im BZR Linden-Limmer, eine Reihe von Wohnstraßen für den Durchgangsverkehr zu sperren: von der Verwaltung abgelehnt.
- Der Antrag im BZR Mitte, eine Vorfahrtsregelung für den Radverkehr in der Calenberger Straße zu schaffen: von der Verwaltung abgelehnt.
Wie kann das sein?
Die Begründungen der Verwaltung offenbaren einen ziemlich selektiven Umgang mit (übergeordneten) Rechtsvorschriften, zeigen ein autozentriertes Denken und eine völlige Unkenntnis darüber, wie Veränderungen aktiv herbeigeführt werden können.
Dazu einige analytische Anmerkungen:
Im Fall der Limmerstraße, sieht die Verwaltung die Gefahr, dass sich „Verkehre“ (gemeint und berechnet wurde ausschließlich der Autoverkehr!) auf umliegende Wohnstraßen verlagert.
„Es kommt zwangsläufig zu vermehrten Umwegsfahrten, die die Ökologie zusätzlich erheblich belasten werden, […]“
Abgesehen, dass man mit dieser Einstellung auch den sofortigen Rückbau aller bestehenden Fußgängerzonen fordern könnte, da diese „zwangsläufig“ – und seit Jahren – Umwegsfahrten erzeugen.
Das es ebenfalls möglich ist (und an vielen Beispielen gezeigt werden kann), das sich Verkehre ganz anders „verlagern“, nämlich vom Auto aufs Rad oder auf den ÖPNV – eben weil die entsprechende Infrastruktur für den Autoverkehr unattraktiver wird – davon will die Verwaltung nichts wissen.
Völlig absurd erscheint der Hinweis der Stadt auf den vor einigen Jahren erfolgten Ausbau der Fössestraße: „Für eine untergeordnete Verkehrsfunktion wären die Anlagen überdimensioniert“. Die Logik muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Eben weil die Straße für den Autoverkehr gut ausgebaut ist, wäre es doch schade, wenn sie nicht auch viel befahren würde. (Die Anwohner bedanken sich!)
Im Fall des Engelbosteler Damms argumentiert die Verwaltung, dass 30% Radverkehrsanteil rechtlich nicht ausreichen, um eine Fahrradstraße auszuweisen. Dies ist für sich genommen schon merkwürdig: Wie soll sich der Anteil des Radverkehrs denn erhöhen, wenn sich Radfahrer auf der (verengten!) Straße unsicher fühlen – und beispielsweise auf den Fußweg ausweichen, wie auch eine Verkehrszählung gezeigt hat? Und, ist eine Verbesserung der Fahrradinfrastruktur tatsächlich nur möglich, wenn sich dieser bereits gegen die Widerstände durchgesetzt hat?
Nein, denn schaut man in die einschlägige Verwaltungsvorschrift fällt auf, dass der Radverkehr eben nicht zwangsläufig bereits die Mehrheit am Verkehr ausmachen muss. Dort heißt es: „Fahrradstraßen kommen dann in Betracht, wenn der Radverkehr die vorherrschende Verkehrsart ist oder dies alsbald zu erwarten ist.“ Die zweite Hälfte des Satzes bleibt aber von der Verwaltung unberücksichtigt und unerwähnt.
Zum Stichwort selektiver Umgang mit einschlägigen Verwaltungsvorschriften sei hier kurz auf die bisherige Praxis der linksseitigen Wegeführung verwiesen, die von der VwV-StVO innerorts explizit ausgeschlossen ist und dennoch in Hannover akzeptierter „Standart“ ist.
Im Falle der Lister Meile argumentiert die Stadt unter anderem mit der bald startenden großräumigeren „Überplanung“. Allerdings sind auch hier die zusätzlichen Argumentationen ausgesprochen autofreundlich. Weder parkende Autos, noch der fließende Verkehr, so die Verwaltung, würden für Fußgänger eine Barriere zur Erschließung des Weißekreuzplatzes darstellen.
Die Argumentation zeigt, das es akzeptiertes Denken ist, von Kindern zu verlangen, sich zunächst zwischen parkenden Autos durchzuschlängeln und eine Straße zu queren, um zum Grün zu gelangen. Sicherlich, es gibt sehr viel gefährlichere Stellen – aber ist das ein Argument an dieser Stelle nichts zu verbessern, und die „kleinen“ Hindernisse aus dem Weg zu räumen?
Geradezu unverschämt ist es, dass die Stadt in ihrer Ablehnung auf die bereits erfolgte Instandsetzung der Straße hinweist. Im Begründungstext heißt es dazu verschleiernd: „Für die Übergangszeit wurden zur Freude der Anlieger die Verkehrsflächen großflächig instandgesetzt.“ Allerdings: Was instandgesetzt werden musste war die Fahrbahn, die in diesem Bereich gepflastert ist und diese Pflasterung unter den (immer schwerer werdenen) Fahrzeugen sehr gelitten hatte. Eine Instandsetzung des Fußwegs war nicht notwendig.
Zur Sperrung von drei Wohnstraßen für den motorisierten Durchgangsverkehr in Linden-Mitte, schreibt die Verwaltung in ihrer Ablehnung, „die Straße müsse [für eine Veränderung] einen Gesamteindruck vermitteln, dass die Aufenthaltsfunktion im öffentlichen Raum gegenüber dem motorisierten Fahrverkehr im Vordergrund steht.“ Aber genau deswegen ist der Antrag des Bezirksrates ja an die Verwaltung gestellt worden, damit eine Veränderung zugunsten der Fußgänger, Kinder, Radfahrer geprüft wird!
„Außerdem sei Voraussetzung“, schreibt die Verwaltung weiter, „dass im öffentlichen Straßenraum [der drei Straßen] keine Vorsorge für den ruhenden Verkehr getroffen wäre, in verkehrsberuhigten Bereichen ist das Parken nur innerhalb der dafür gekennzeichneten Flächen zulässig.“ Aber wer, wenn nicht die Verwaltung kann genau diese Flächen für das Parken innerhalb der drei Straßen auszeichnen?
Es wird deutlich:
Unterstützung für die Anliegen der Bewohnerinnen und Bewohner der einzelnen Stadtteile, in ihrem Quartier etwas für die Verkehrswende zu tun, sieht definitiv anders aus. Die systematische Zurückweisung der vorgebrachten Anliegen und Anregungen der ehrenamtlichen Repräsentanten muss unweigerlich zu Frustration und Stillstand führen, wo Bottom-up Bestrebungen und Eigeninitiative gefördert werden sollte.
02.09.2019, AK
Weiterführende Links:
Link zur Antwort der Verwaltung bzgl. Limmerstraße: https://e-government.hannover-stadt.de/lhhsimwebre.nsf/DS/15-0499-2019S1
Link zur Antwort der Verwaltung bzgl. Lister Meile: https://e-government.hannover-stadt.de/lhhsimwebre.nsf/DS/15-1727-2018S1
Antwort der Verwaltung zum Engelbosteler Damm: https://e-government.hannover-stadt.de/lhhsimwebre.nsf/DS/15-2102-2018S2
Entscheidung der Verwaltung bzgl. Calenberger Straße: https://e-government.hannover-stadt.de/lhhsimwebre.nsf/DS/15-2596-2018S1
Link zur Ablehnung der Verwaltung bzgl. Wohnstraßen in Linden: https://e-government.hannover-stadt.de/lhhsimwebre.nsf/DS/15-0132-2019S1
Link zur Anwohnerinitiative der drei Straßen: www.jamiel-kiez.de