Gesundheitsgefährdung durch den Straßenverkehr?

Gesundheitsgefährdung durch den Straßenverkehr?

Alles übertrieben, alles halb so schlimm – behauptet zumindest der „Lungenspezialist“ Heinz Dieter Köhler in der HAZ.

Die Stickoxid-Belastung der Luft durch den Straßenverkehr sei „irrelevant, da die dort erzeugten Dosen ungefährlich sind“, behauptet Dieter Köhler in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

Eine gewagte These, mit der sich Köhler nicht nur gegen die Erkenntnisse der Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellt, sondern auch gegen die Analysen und Warnungen zahlreicher seiner deutschen Kollegen.

Als Beleg für seine steile These setzt Köhler auf irreführende Vergleiche mit Rauchern: Wären die gesundheitlichen Folgen wirklich so gravierend, so seine These, müssten Raucher aufgrund der viel stärkeren Belastung mit NOx „nach wenigen Monaten tot umfallen.“

Auch wenn die Raucher nicht sofort tot umfallen, sind die außerordentlichen Schädigungen des Rauchens für Lunge und Leben wohl unzweifelhaft. Die unzählbaren Kurz-, Mittel- und Langzeitfolgen des Rauchens sind weithin bekannt (COPD, Lungenembolien, erhöhtes Schlaganfallrisiko usw, usw.). Und ja, de facto fallen viele Raucher viel früher tot um, als ihnen und ihren Angehörigen wohl lieb ist.

Warum dieser erwiesene Zusammenhang von NOx-Belastung und stärksten Gesundheitsschäden gegen die Gefährdung der Luftbelastung im Straßenraum sprechen soll, leuchtet nicht ein.
Köhler argumentiert außerdem mit dem NO2-Tagesgrenzwert (50mg/m³), also dem durchschnittlichen Belastungswert des gesamten Tages (einschließlich der Nacht). Dabei lässt er außer acht, dass die tatsächlichen Werte über den Tagesverlauf sehr viel höher liegen.

Kein Mensch atmet durchschnittliche Tages- oder gar Jahreswerte ein! Was wir einatmen, was uns schadet und krank macht, das sind die Belastungsspitzen, die zu Stoßzeiten auftreten; das heißt, wenn wir morgens zur Arbeit fahren, oder die Kinder morgens zur Schule gehen. Und diese Werte liegen durchgänging weit über den angeführten 50 Mikrogramm. (Der Höchstwert im letzten Jahr in Hannover betrug 150 mg/m³.)

Auch die gesundheitlichen Folgen von Feinstaub sind unter Medizinern längst unbestritten. In einem Interview mit der HAZ stellt MHH-Professor Haverich dazu fest: „Inzwischen ist die Datenlage so glasklar, dass wir wissen, dass mit jedem zehnten Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter die Herzinfarkt- und Schlaganfallrate steigt, ebenso wie die Zahl der Alzheimer- und Diabeteserkrankungen.“

Köhler behauptet weiterhin, dass die Studien seiner Kollegen zur Gesundheitsbelastung durch Feinstaub und NOx viele andere Risikofaktoren wie Alkoholkonsum, Einnahmezuverlässigkeit von Medikamenten usw. nicht berücksichtigen würden. Diese Faktoren hätten aber viel größere Auswirkungen auf die Lebenserwartung.

Dass rennomierte Forscher(teams) weltweit in ihren Studien elementare wissenschaftliche Standards nicht einhielten (z.B. Vergleichsgruppen zu bilden), ist schon ein ungeheurer und auch absurder Vorwurf. Die Kontrolle solcher Faktoren ist auch in der Regel nicht schwer: In einer Studie aus China wurden beispielsweise zwei Studentengruppen unterschiedlich hohen Belastungen ausgesetzt und die gesundheitlichen Auswirkungen gemessen – in einer zweiten Phase wurden die Gruppen später einfach getauscht. Ein simples Verfahren, welches andere Einflussfaktoren wirksam ausschließt.

Köhlers Behauptung, andere Gesundheitsschädliche Faktoren spielen eine viel größere Rolle, lässt sich auch aus einem anderen Grund leicht zurückzuweisen: Viele Lungenexperten attestieren schlimme gesundheitliche Folgen der Luftbelastung vor allem für Kinder. Es besteht wohl kein Grund, hier von weit gravierenderen Einflussfaktoren wie Rauchen, Trinken oder Tablettenmissbrauch auszugehen.

Köhler jedoch lehnt sich noch weiter aus dem Fenster und behauptet, die entsprechenden Forscher würden viele Forschungsgelder von der EU bekommen und daher versuchen einer „Erwartungshaltung“ gerecht zu werden.

Dass öffentliches Fördergeld dazu anregt, kritisch mit der Automobilbranche ins Gericht zu gehen – um die Erwartungshaltung der Politik zu befriedigen – erscheint angesichts der Haltung besonders der deutschen Politik geradezu lächerlich. Den Vorwurf, dass die Politik unglaublich darauf bedacht sei, endlich mit der Automobilindustrie aufzuräumen, hört man auch nicht alle Tage.

Apropos, wie sieht es eigentlich mit der Forschungsförderung aus der Wirtschaft aus? In Niedersachsen ist die (unabhängige) Volkswagen Stiftung einer der größten Förderer der Wissenschaft (zum Kuratorium gehört auch der Leiter Konzernforschung der Volkswagen AG) – und fördert unter anderem die Forschungsprojekte des Hannoverschen Lungenspezialisten Axel Haverich (MHH).

Und dann wäre da noch Köhlers Behauptung, es sei falsch, Dieselfahrverbote einzuführen, da der Diesel-Antrieb viel klimafreundlicher sei als der Benzinermotor.
Dazu Folgendes: Messungen des Verkehrsministeriums ergaben für die 2016 zugelassenen Autos mit Diesel-Antrieb einen durchschnittlichen Ausstoß von 128 Gramm je Kilometer. Bei Benzinern liegt der Wet bei 129 Gramm. Wie kommt’s?

Diesel-Fahrzeuge stoßen allenfalls in der Theorie weniger CO2 aus. In der Praxis sieht die Welt anders aus, wie die in diesem Zusammenhang wohl unverdächtige FAZ zu berichten weiß:
„Die Diesel-Technik war in den vergangenen Jahren eine großangelegte Verkaufsförderung für schwere Autos mit vielen PS. Es sind die sportlichen Geländewagen, die SUVs.“ Und weiter: „[Es hat] sich eingebürgert, die Benachteiligung des Benziners mit dem Beitrag des Diesels zum Klimaschutz zu begründen. Im Ergebnis hat das den Verkauf besonders schwerer Autos aber erst recht angekurbelt.“

Muss man dazu noch Weiteres sagen?

AK, 11.10.2018

Nachtrag:

Mit der Veröffentlichung eines – zusammen mit Motorenentwicklern konzipierten –  zweiseitigen Positionspapiers hat Professor Köhler die öffentliche Debatte weiter befeuert. Mit der geringen wissenschaftlichen Aussagekraft des Positionspapiers hat sich auch Professor Hans Schweisfurth von der DEUTSCHEN GESELLSCHAFT FÜR UMWELT- UND HUMANTOXIKOLOGIE auseinandergesetzt. Seine Replik, die er ebenfalls an das Bundesverkehrsminister gesandt hat, kann hier eingesehen werden:

Stellungnahme_Schweisfurth_Januar_2019